Stimmen zum Morden in den Dreissiger- und Vierzigerjahren
Quelle 1:
„Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“
Adorno, Theodor W. (1977): Kulturkritik und Gesellschaft. In: Gesammelte Schriften, Band 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I, „Prismen. Ohne Leitbild“. Frankfurt am Main Suhrkamp.
Quelle 2:
"7
Ich habe in gut hundert Universitäten in den Vereinigten Staaten und Europa zu Studenten über das Problem von Freiheit und Diktatur gesprochen. Viele junge Menschen von heute möchten gerne gegen die Gestapo, gegen die SS, gegen Hitler kämpfen, sie möchten die Juden vor der Ermordung bewahren und den Weltkrieg vermeiden. Das sind heroische Ziele. Aber es gibt dort, wo sie leben, keinen Hitler, keine Gestapo und keine SS. Sie müssen begreifen, daß es das alles auch in den Dreißigerjahren nicht gegeben hat, daß es gewachsen ist, erst langsam und unbemerkbar, dann immer schneller. Bis es zu spät war.
Deshalb muß man von Beginn an kämpfen. „Ihr müßt“, habe ich versucht, ihnen zu sagen, „gegen die kleinen Ungerechtigkeiten zu Felde ziehen – das erfordert manchmal genauso viel Zivilcourage und Mut wie der Kampf gegen das große Unrecht. Wenn einer wegschaut, wie sein Arbeitskollege grundlos verleumdet wird, und sich freut, daß er vielleicht dessen Position erklimmen kann, dann handelt er nicht anders als einer, der damals weggeschaut hat, als man die Juden die Gehsteige aufwischen ließ, und der sich gefreut hat, in ihre leergewordene Wohnung einzuziehen. Ich glaube, daß die Menschen, die damals den großen Widerstand geleistet haben, heute den kleinen Widerstand übten.“
Wenn einer heute nur den großen Widerstand gegen Hitler leisten will, dann habe ich den Verdacht, daß er dem kleinen Widerstand gegen das heutige Unrecht ausweichen möchte.
(...)
9
In einer Fernsehdiskussion habe ich einmal gesagt: „Hitler hat nicht nur Millionen Juden und Millionen seiner Gegner umgebracht, er hat auch Millionen Deutsche und Millionen Österreicher moralisch zerstört. – Und das auf Generationen hinaus. Zu den Opfern zu gehören, ist furchtbar – aber noch furchtbarer ist es, zu den Tätern zu zählen“."
Wiesenthal, Simon (1988 und 1995): Simon Wiesenthal im Zitat. https://www.vwi.ac.at/index.php/institut/simon-wiesenthal/wiesenthal-im-zitat: Aufruf 6.9.2023.
Quelle 3:
„Der Holocaust, dieses grausame, unfassbare Verbrechen, darf nicht in Vergessenheit geraten. Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerung an das Unrecht, an das unsägliche Leid, wachzuhalten und Antisemitismus keinen Platz zu bieten. Das Vermächtnis der Opfer bleibt: nie wieder!“
Dr. Buschmann, Marco (2022): Zitate. https://www.bmj.de/SharedDocs/Zitate/DE/2022/0127_Gedenken_Opfer_Holocaust.html#:~:text=%E2%80%9EDer%20Holocaust%2C%20dieses%20grausame%2C,%E2%80%9C: Aufruf 6.9.2023.
Quelle 4:
Nicht einmal Gott, den Gott Israels, schien es zu rühren. Mehr noch als das Schweigen der andern war Gottes Schweigen ein Geheimnis, das vielen von uns rätselhaft bleibt und uns bedrückt bis auf den heutigen Tag. Doch dies ist ein Thema, das wir am heftigsten diskutieren, wenn wir unter uns sind.“
Wiesel, Elie (2000): Rede vor dem Bundestag. https://www.deutschlandfunkkultur.de/juedischer-glaube-und-die-shoa-wo-war-gott-in-auschwitz-100.html: Aufruf 6.9.2023.
„Wo ist Gott, wo ist er?“ fragte jemand hinter mir… Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um. Die beiden Erwachsenen lebten nicht mehr. Aber der dritte Strick hing nicht leblos, der leichte Knabe lebte noch. Mehr als eine halbe Stunde hing er so und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf. Hinter mir hörte ich denselben Mann fragen: „Wo ist Gott?“ Und ich hörte eine Stimme in mir antworten:
„Wo er ist? Dort hängt er, am Galgen...“
Wiesel, Elie (1958): Nacht. Zitiert nach: https://www.deutschlandfunkkultur.de/juedischer-glaube-und-die-shoa-wo-war-gott-in-auschwitz-100.html:Aufruf 6.9.2023.
Quelle 5:
Auschwitz war nicht die Hölle, sondern ein deutsches Konzentrationslager. Und die Häftlinge waren keine Verdammten oder Halbverdammten eines christlichen Kosmos, sondern unschuldige Juden, Kommunisten und so weiter. Und die Folterer waren keine phanta- stische Teufel, sondern Menschen wie du und ich.
Walser, Martin zitiert nach: Singer, Peter (2008): „Darüber zu sprechen, ist unmöglich, darüber zu schweigen, verboten“ Elie Wiesel. In:
Gesprächskreis Politik und Geschichte im Karl-Marx-Haus Heft 14. https://library.fes.de/pdf-files/kmh/05778.pdf: Aufruf 6.9.2023.
Quelle 6:
"Ich, Rudolf Ferdinand Höß, sage nach vorhergehender rechtmäßiger Vereidigung aus und erkläre wie folgt:
Ich bin sechsundvierzig Jahre alt und Mitglied der NSDAP seit 1922; Mitglied der SS seit 1934; Mitglied der Waffen-SS seit 1939. Ich war Mitglied ab ersten De- zember 1934 des SS-Wachverbandes, des sogenannten Totenkopfverbandes.
Seit 1934 hatte ich unausgesetzt in der Verwaltung von Konzentrationslagern zu tun und tat Dienst in Dachau bis 1938; dann als Adjutant in Sachsenhausen von 1938 bis zum 1. Mai 1940, zu welcher Zeit ich zum Kommandanten von Auschwitz ernannt wurde. Ich befehli- gte Auschwitz bis zum 1. Dez. 1943 und schätze, dass mindestens 2 500 000 Opfer dort durch Vergasung und Verbrennen hingerichtet und ausgerottet wurden; mindestens eine weitere halbe Million starben durch Hunger und Krankheit, was eine Gesamtzahl von ungefähr 3 000 000 Toten ausmacht. Diese Zahl stellt ungefähr 70 oder 80 Prozent aller Personen dar, die als Gefangene nach Auschwitz geschickt wurden; die übrigen wurden ausgesucht und für Sklavenarbeit in den Industrien
des Konzentrationslagers verwendet. Unter den hinge- richteten verbrannten Personen befanden sich ungefähr 20 000 russische Kriegsgefangene ... Der Rest der Gesamtzahl der Opfer umfasste ungefähr 100 000 deutsche Juden und eine große Anzahl von Einwohnern, meistens Juden, aus Holland, Frankreich, Belgien, Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Griechenland oder anderen Ländern. Ungefähr 400 000 ungarische Juden wurden allein in Auschwitz im Sommer 1944 von uns hingerichtet.
Die „Endlösung“ der jüdischen Frage bedeutete die vollständige Ausrottung aller Juden in Europa. Ich hatte den Befehl, Ausrottungserleichterungen in Auschwitz im Juni 1942 zu schaffen. Zu jener Zeit bestanden schon drei weitere Vernichtungslager im Generalgouverne- ment: Belzec, Treblinka und Wolzek.
Diese Lager befanden sich unter dem Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD. Ich besuchte Treblinka, um festzustellen, wie die Vernichtungen aus- geführt wurden. Der Lagerkommandant von Treblinka sagte mir, dass er 80 000 im Laufe eines halben Jahres liquidiert hätte. Er hatte hauptsächlich mit der Liquidie- rung aller Juden aus dem Warschauer Ghetto zu tun. Er wandte Monoxyd-Gas an, und nach seiner Ansicht waren seine Methoden nicht sehr wirksam. Als ich das Vernichtungsgebäude in Auschwitz errichtete, ge- brauchte ich also Zyklon B, eine kristallisierte Blausäu- re, die wir in die Todeskammer durch eine kleine Öff- nung einwarfen. Es dauerte 3 bis 15 Minuten, je nach den klimatischen Verhältnissen, um die Menschen in der Todeskammer zu töten. Wir wussten, wenn die Menschen tot waren, weil ihr Kreischen aufhörte. Wir warteten gewöhnlich eine halbe Stunde, bevor wir die Türen öffneten und die Leichen entfernten. Nachdem die Leichen fortgebracht waren, nahmen unsere Son- derkommandos die Ringe ab und zogen das Gold aus den Zähnen der Körper.
Eine andere Verbesserung gegenüber Treblinka war, dass wir Gaskammern bauten, die 2000 Menschen auf einmal fassen konnten, während die zehn Gaskammern in Treblinka nur je 200 Menschen fassten. Die Art und Weise, wie wir unsere Opfer auswählten war folgender- maßen: zwei SS-Ärzte waren in Auschwitz tätig, um die einlaufenden Gefangenentransporte zu untersuchen.
Die Gefangenen mussten bei einem der Ärzte vorbeigehen, der bei ihrem Vorbeimarsch durch Zeichen die Entscheidung fällte.
Diejenigen, die zur Arbeit taugten, wurden ins Lager geschickt. Andere wurden sofort in die Vernichtungsan- lagen geschickt. Kinder im zarten Alter wurden unterschiedslos vernichtet, da auf Grund ihrer Jugend sie unfähig waren, zu arbeiten.
Noch eine andere Verbesserung, die wir gegenüber Treblinka machten, war diejenige, dass in Treblinka die Opfer fast immer wussten, dass sie vernichtet werden sollten, während in Auschwitz wir uns bemühten, die Opfer zum Narren zu halten, indem sie glaubten, dass sie ein Entlausungsverfahren durchzumachen hätten. Natürlich erkannten sie auch häufig unsere wahren Absichten und wir hatten deswegen manchmal Aufruhr und Schwierigkeiten. Sehr häufig wollten Frauen ihre Kinder unter den Kleidern verbergen, aber wenn wir sie fanden, wur- den die Kinder natürlich zur Vernichtung hineingesandt.
Wir sollten diese Vernichtungen im Geheimen ausführen, aber der faule und Übelkeit erregende Gestank, der von der ununterbrochenen Körperverbrennung ausging, durchdrang die ganze Gegend, und alle Leute, die in den umliegenden Gemeinden lebten, wussten, dass in Auschwitz Vernichtungen im Gange waren."
Rudolf Höss zitiert nach: Singer, Peter (2008): „Darüber zu sprechen, ist unmöglich, darüber zu schweigen, verboten“ Elie Wiesel. In:
Gesprächskreis Politik und Geschichte im Karl-Marx-Haus Heft 14. https://library.fes.de/pdf-files/kmh/05778.pdf: Aufruf 6.9.2023.
„Kulturkritik findet sich der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu schreiben.“
Adorno, Theodor W. (1977): Kulturkritik und Gesellschaft. In: Gesammelte Schriften, Band 10.1: Kulturkritik und Gesellschaft I, „Prismen. Ohne Leitbild“. Frankfurt am Main Suhrkamp.
Quelle 2:
"7
Ich habe in gut hundert Universitäten in den Vereinigten Staaten und Europa zu Studenten über das Problem von Freiheit und Diktatur gesprochen. Viele junge Menschen von heute möchten gerne gegen die Gestapo, gegen die SS, gegen Hitler kämpfen, sie möchten die Juden vor der Ermordung bewahren und den Weltkrieg vermeiden. Das sind heroische Ziele. Aber es gibt dort, wo sie leben, keinen Hitler, keine Gestapo und keine SS. Sie müssen begreifen, daß es das alles auch in den Dreißigerjahren nicht gegeben hat, daß es gewachsen ist, erst langsam und unbemerkbar, dann immer schneller. Bis es zu spät war.
Deshalb muß man von Beginn an kämpfen. „Ihr müßt“, habe ich versucht, ihnen zu sagen, „gegen die kleinen Ungerechtigkeiten zu Felde ziehen – das erfordert manchmal genauso viel Zivilcourage und Mut wie der Kampf gegen das große Unrecht. Wenn einer wegschaut, wie sein Arbeitskollege grundlos verleumdet wird, und sich freut, daß er vielleicht dessen Position erklimmen kann, dann handelt er nicht anders als einer, der damals weggeschaut hat, als man die Juden die Gehsteige aufwischen ließ, und der sich gefreut hat, in ihre leergewordene Wohnung einzuziehen. Ich glaube, daß die Menschen, die damals den großen Widerstand geleistet haben, heute den kleinen Widerstand übten.“
Wenn einer heute nur den großen Widerstand gegen Hitler leisten will, dann habe ich den Verdacht, daß er dem kleinen Widerstand gegen das heutige Unrecht ausweichen möchte.
(...)
9
In einer Fernsehdiskussion habe ich einmal gesagt: „Hitler hat nicht nur Millionen Juden und Millionen seiner Gegner umgebracht, er hat auch Millionen Deutsche und Millionen Österreicher moralisch zerstört. – Und das auf Generationen hinaus. Zu den Opfern zu gehören, ist furchtbar – aber noch furchtbarer ist es, zu den Tätern zu zählen“."
Wiesenthal, Simon (1988 und 1995): Simon Wiesenthal im Zitat. https://www.vwi.ac.at/index.php/institut/simon-wiesenthal/wiesenthal-im-zitat: Aufruf 6.9.2023.
Quelle 3:
„Der Holocaust, dieses grausame, unfassbare Verbrechen, darf nicht in Vergessenheit geraten. Es ist unsere Aufgabe, die Erinnerung an das Unrecht, an das unsägliche Leid, wachzuhalten und Antisemitismus keinen Platz zu bieten. Das Vermächtnis der Opfer bleibt: nie wieder!“
Dr. Buschmann, Marco (2022): Zitate. https://www.bmj.de/SharedDocs/Zitate/DE/2022/0127_Gedenken_Opfer_Holocaust.html#:~:text=%E2%80%9EDer%20Holocaust%2C%20dieses%20grausame%2C,%E2%80%9C: Aufruf 6.9.2023.
Quelle 4:
Nicht einmal Gott, den Gott Israels, schien es zu rühren. Mehr noch als das Schweigen der andern war Gottes Schweigen ein Geheimnis, das vielen von uns rätselhaft bleibt und uns bedrückt bis auf den heutigen Tag. Doch dies ist ein Thema, das wir am heftigsten diskutieren, wenn wir unter uns sind.“
Wiesel, Elie (2000): Rede vor dem Bundestag. https://www.deutschlandfunkkultur.de/juedischer-glaube-und-die-shoa-wo-war-gott-in-auschwitz-100.html: Aufruf 6.9.2023.
„Wo ist Gott, wo ist er?“ fragte jemand hinter mir… Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um. Die beiden Erwachsenen lebten nicht mehr. Aber der dritte Strick hing nicht leblos, der leichte Knabe lebte noch. Mehr als eine halbe Stunde hing er so und kämpfte vor unseren Augen zwischen Leben und Sterben seinen Todeskampf. Hinter mir hörte ich denselben Mann fragen: „Wo ist Gott?“ Und ich hörte eine Stimme in mir antworten:
„Wo er ist? Dort hängt er, am Galgen...“
Wiesel, Elie (1958): Nacht. Zitiert nach: https://www.deutschlandfunkkultur.de/juedischer-glaube-und-die-shoa-wo-war-gott-in-auschwitz-100.html:Aufruf 6.9.2023.
Quelle 5:
Auschwitz war nicht die Hölle, sondern ein deutsches Konzentrationslager. Und die Häftlinge waren keine Verdammten oder Halbverdammten eines christlichen Kosmos, sondern unschuldige Juden, Kommunisten und so weiter. Und die Folterer waren keine phanta- stische Teufel, sondern Menschen wie du und ich.
Walser, Martin zitiert nach: Singer, Peter (2008): „Darüber zu sprechen, ist unmöglich, darüber zu schweigen, verboten“ Elie Wiesel. In:
Gesprächskreis Politik und Geschichte im Karl-Marx-Haus Heft 14. https://library.fes.de/pdf-files/kmh/05778.pdf: Aufruf 6.9.2023.
Quelle 6:
"Ich, Rudolf Ferdinand Höß, sage nach vorhergehender rechtmäßiger Vereidigung aus und erkläre wie folgt:
Ich bin sechsundvierzig Jahre alt und Mitglied der NSDAP seit 1922; Mitglied der SS seit 1934; Mitglied der Waffen-SS seit 1939. Ich war Mitglied ab ersten De- zember 1934 des SS-Wachverbandes, des sogenannten Totenkopfverbandes.
Seit 1934 hatte ich unausgesetzt in der Verwaltung von Konzentrationslagern zu tun und tat Dienst in Dachau bis 1938; dann als Adjutant in Sachsenhausen von 1938 bis zum 1. Mai 1940, zu welcher Zeit ich zum Kommandanten von Auschwitz ernannt wurde. Ich befehli- gte Auschwitz bis zum 1. Dez. 1943 und schätze, dass mindestens 2 500 000 Opfer dort durch Vergasung und Verbrennen hingerichtet und ausgerottet wurden; mindestens eine weitere halbe Million starben durch Hunger und Krankheit, was eine Gesamtzahl von ungefähr 3 000 000 Toten ausmacht. Diese Zahl stellt ungefähr 70 oder 80 Prozent aller Personen dar, die als Gefangene nach Auschwitz geschickt wurden; die übrigen wurden ausgesucht und für Sklavenarbeit in den Industrien
des Konzentrationslagers verwendet. Unter den hinge- richteten verbrannten Personen befanden sich ungefähr 20 000 russische Kriegsgefangene ... Der Rest der Gesamtzahl der Opfer umfasste ungefähr 100 000 deutsche Juden und eine große Anzahl von Einwohnern, meistens Juden, aus Holland, Frankreich, Belgien, Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Griechenland oder anderen Ländern. Ungefähr 400 000 ungarische Juden wurden allein in Auschwitz im Sommer 1944 von uns hingerichtet.
Die „Endlösung“ der jüdischen Frage bedeutete die vollständige Ausrottung aller Juden in Europa. Ich hatte den Befehl, Ausrottungserleichterungen in Auschwitz im Juni 1942 zu schaffen. Zu jener Zeit bestanden schon drei weitere Vernichtungslager im Generalgouverne- ment: Belzec, Treblinka und Wolzek.
Diese Lager befanden sich unter dem Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD. Ich besuchte Treblinka, um festzustellen, wie die Vernichtungen aus- geführt wurden. Der Lagerkommandant von Treblinka sagte mir, dass er 80 000 im Laufe eines halben Jahres liquidiert hätte. Er hatte hauptsächlich mit der Liquidie- rung aller Juden aus dem Warschauer Ghetto zu tun. Er wandte Monoxyd-Gas an, und nach seiner Ansicht waren seine Methoden nicht sehr wirksam. Als ich das Vernichtungsgebäude in Auschwitz errichtete, ge- brauchte ich also Zyklon B, eine kristallisierte Blausäu- re, die wir in die Todeskammer durch eine kleine Öff- nung einwarfen. Es dauerte 3 bis 15 Minuten, je nach den klimatischen Verhältnissen, um die Menschen in der Todeskammer zu töten. Wir wussten, wenn die Menschen tot waren, weil ihr Kreischen aufhörte. Wir warteten gewöhnlich eine halbe Stunde, bevor wir die Türen öffneten und die Leichen entfernten. Nachdem die Leichen fortgebracht waren, nahmen unsere Son- derkommandos die Ringe ab und zogen das Gold aus den Zähnen der Körper.
Eine andere Verbesserung gegenüber Treblinka war, dass wir Gaskammern bauten, die 2000 Menschen auf einmal fassen konnten, während die zehn Gaskammern in Treblinka nur je 200 Menschen fassten. Die Art und Weise, wie wir unsere Opfer auswählten war folgender- maßen: zwei SS-Ärzte waren in Auschwitz tätig, um die einlaufenden Gefangenentransporte zu untersuchen.
Die Gefangenen mussten bei einem der Ärzte vorbeigehen, der bei ihrem Vorbeimarsch durch Zeichen die Entscheidung fällte.
Diejenigen, die zur Arbeit taugten, wurden ins Lager geschickt. Andere wurden sofort in die Vernichtungsan- lagen geschickt. Kinder im zarten Alter wurden unterschiedslos vernichtet, da auf Grund ihrer Jugend sie unfähig waren, zu arbeiten.
Noch eine andere Verbesserung, die wir gegenüber Treblinka machten, war diejenige, dass in Treblinka die Opfer fast immer wussten, dass sie vernichtet werden sollten, während in Auschwitz wir uns bemühten, die Opfer zum Narren zu halten, indem sie glaubten, dass sie ein Entlausungsverfahren durchzumachen hätten. Natürlich erkannten sie auch häufig unsere wahren Absichten und wir hatten deswegen manchmal Aufruhr und Schwierigkeiten. Sehr häufig wollten Frauen ihre Kinder unter den Kleidern verbergen, aber wenn wir sie fanden, wur- den die Kinder natürlich zur Vernichtung hineingesandt.
Wir sollten diese Vernichtungen im Geheimen ausführen, aber der faule und Übelkeit erregende Gestank, der von der ununterbrochenen Körperverbrennung ausging, durchdrang die ganze Gegend, und alle Leute, die in den umliegenden Gemeinden lebten, wussten, dass in Auschwitz Vernichtungen im Gange waren."
Rudolf Höss zitiert nach: Singer, Peter (2008): „Darüber zu sprechen, ist unmöglich, darüber zu schweigen, verboten“ Elie Wiesel. In:
Gesprächskreis Politik und Geschichte im Karl-Marx-Haus Heft 14. https://library.fes.de/pdf-files/kmh/05778.pdf: Aufruf 6.9.2023.